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Das kleine Schlüsselmonster

Papa suchte mal wieder nach seinem Schlüssel. Fast das ganze Haus hatte er nun schon auf den Kopf gestellt. Letztendlich fand er ihn neben seinem Computer unter einem Blatt Papier, das er wohl achtlos dort hingelegt hatte. Seufzend, aber glücklich ging er zur Haustür. „Ich glaube, es gibt ein Schlüsselmonster, das mir immer den Schlüssel versteckt“, sagte er. „Ja, ja“, erwiderte meine Mutter und verabschiedete sich lachend von ihm. Ich aber machte mir Gedanken darüber, was mein Papa gesagt hatte. Was, wenn es wirklich so ein Schlüsselmonster gab? Ganz abwegig war das ja nicht. Ständig suchte irgendjemand hier im Haus nach seinem Schlüssel. Sogar der Schlüssel für mein Schatzkästchen fehlte, und das schon seit Wochen. Ich konnte mir nicht erklären, wo er abgeblieben war. Um an meine geliebten und wichtigen Schätze heranzukommen, war ich schon nah dran gewesen, das Kästchen einfach aufzubrechen. Vielleicht würde ich irgendwann noch vergessen, was ich da so in mein Kästchen gelegt hatte! Doch ich brachte es nicht übers Herz, es zu beschädigen. Und so hoffte ich weiter, dass der Schlüssel irgendwo gefunden würde.

Aber wenn es ein Schlüsselmonster gab, dann hatte es den Schlüssel vielleicht sogar mitgenommen? Meine Neugier war geweckt. Heute würde ich nicht nach meinem Schlüssel, sondern nach dem Monster suchen. Vermutlich versteckte es sich irgendwo, bis die Gelegenheit günstig war. Ich suchte in allen Zimmern und schaute wirklich in jedes kleinste Eck und hinter jede Tür, sogar in den Schubladen sah ich nach. Nichts. „Was suchst du denn?“ Meine Mutter war mir manchmal echt zu neugierig. „Meinen Schlüssel“, antwortete ich. Na ja, das war ja auch irgendwie die Wahrheit. Ich suchte meinen Schlüssel, den vielleicht das Schlüsselmonster hatte. „Immer noch?“ Mama schien überrascht. Ich murmelte „ja“ und suchte weiter.

Dann kam mir eine geniale Idee. Im Keller, es musste sich im Keller versteckt haben! Dort suchte nie jemand nach seinen Schlüsseln. Also tappte ich zur Kellertür. Eigentlich habe ich Angst, allein in den Keller zu gehen. Dort ist es immer so düster. Das Licht ist etwas schummrig und es gibt dunkle Ecken. Doch ich war nun mal davon überzeugt, dass sich dort das Schlüsselmonster versteckt haben musste. Langsam ging ich die Kellertreppe hinunter. Schritt für Schritt. Bloß nicht aus Angst sich selbst verrückt machen, sagte ich mir. Da unten gibt es nur Gerümpel, Vorrat, Getränke und sonst nichts. Aus einem der Regale griff ich mir eine Taschenlampe. Damit konnte ich gut alle Ecken hell werden lassen, was mir ein bischen Sicherheit gab.

Und plötzlich, wie aus dem Nichts, saß es da. Mitten im Raum. Auf einer Kiste. Das Schlüsselmonster war ein kleiner Drache, der mich erstaunt anschaute. Ich erschrak so sehr, dass ich einen Schritt zurück machte und fast gestolpert wäre. „Hey, was machst du denn hier unten im Keller? Kinder kommen sonst nie in den Keller.“ Der konnte sprechen! Ich war vollkommen überrumpelt. Mein Staunen konnte man vermutlich sogar riechen. „Wer bist du?“, fragte ich, obwohl ich es mir ja eigentlich schon denken konnte. „Na, ich bin das Schlüsselmonster. Du hast bestimmt nach mir gesucht.“ – „Ja, klar. Dich gibt es tatsächlich?“ Der kleine Drache grinste belustigt. „So ist es wohl“, sagte er. „Und nur Kinder können mich sehen. Die Erwachsenen nicht. Deshalb macht es einen Riesenspaß, deren Schlüssel zu verstecken.“ Nun grinste er bis über beide Ohren.

„Aber ich suche auch einen Schlüssel“, erwiderte ich. „Du?“ Das schien ihn zu überraschen. „Ja, mir fehlt mein Schatzkästchenschlüssel.“ Hoffnung keimte in mir auf. „Wie sieht der denn aus?“, fragte der kleine Drache interessiert. „Er ist sehr klein und er hat eine verschnörkelte Markierung. Ein ganz besonderer Schlüssel.“ – „Hmmm …“ Der kleine Drache überlegte. Auf einmal hellte sich seine Miene schlagartig auf. „Ich kann mich erinnern. So einen Schlüssel habe ich im Garten in die Gießkanne geschmissen.“ Er strahlte über das ganze Gesicht. „In die Gießkanne? Wie kommt man denn auf so eine dumme Idee?“ Ich konnte es nicht glauben. „Das war doch eine sehr gute Idee“, widersprach der Drache. „Du hast den Schlüssel nicht gefunden, also war es wohl ein sehr gutes Versteck.“ Er schmunzelte. „Geh nur und hol dir deinen Schlüssel. Ich bin ab morgen erst mal woanders unterwegs. Wenn dann bei euch ein Schlüssel fehlen sollte, dann habt ihr ihn selbst verbummelt. Oder einer meiner Freunde ist bei euch eingezogen.“ Der Drache hüpfte lachend von der Kiste, lief zum Kellerfenster und winkte mir zu. Schwupps, und weg war er.

Ich rieb mir die Augen. Hatte ich das gerade wirklich erlebt? Und gab es tatsächlich noch mehr solcher Schlüsselmonster? Egal, ich lief eilig die Kellertreppe hinauf und hinaus in den Garten. Die Gießkanne stand hinter dem Gartenhäuschen. In dieser Jahreszeit brauchten wir sie nicht besonders oft. Ich schaute hinein und tatsächlich: Da lag er. Mein Schatzkästchenschlüssel. Ich tanzte vor Freude.

Eilig lief ich in mein Zimmer, holte das Kästchen hervor und öffnete es. Ach, war das schön, mal wieder meine kleinen Schätze herausholen zu können! Eine kleine Muschel, die ich im Sommer am Meer gefunden hatte. Ein kleines Spielzeugauto, das ein Geschenk von Opa gewesen war. Er hatte schon damit gespielt, als er so klein war wie ich. Als Nächstes holte ich die Münze heraus, auf die ich besonders stolz war. Die hatte ich im Wald gefunden. Genauso ein paar besondere Steine, eine wunderschöne weiße Entenfeder und ein paar getrocknete Blätter.

Endlich konnte ich das alles mal wieder in die Hand nehmen und bestaunen.

Da hörte ich meine Mutter rufen. „Hast du meinen Autoschlüssel irgendwo gesehen? Ich müsste noch mal kurz weg.“ – „Nein“, rief ich. „Aber vielleicht fragst du mal das Schlüsselmonster!“ Meine Mutter steckte irritiert den Kopf ins Zimmer. „Keine Scherze jetzt, ich bin in Eile.“ Kopfschüttelnd ging sie wieder auf Schlüsselsuche. Ich grinste vor mich hin. Dieses eine Geheimnis würde ich ganz für mich allein behalten.  


Veröffentlicht am: 
26/10/2018
Autor:
Antje Wäschle