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Der kleine Kobold und das Floß

In einer kleinen Stadt am Waldrand lebte vor vielen, vielen Jahren ein kleiner Kobold. Er war gerade mal so groß wie ein Gänseblümchen, aber flink wie ein Wiesel. Kaum hatte er den Boden berührt, war er, zack, zack, schon wieder weg.
Der Kobold trug stets eine rote Zipfelmütze auf dem Kopf. Seine Kleidung war grün, deshalb war er zwischen Wiesen und Sträuchern fast unsichtbar. Bis eben auf die kleine rote Mütze. Sie war der Grund dafür, dass er doch nicht immer ganz unerkannt blieb. Denn der Kobold war zwar schnell, aber so manche Kinderaugen hatten ihn doch schon erhascht. Nur Kinderaugen, wohlgemerkt, denn die Erwachsenen waren ja groß und viel zu weit vom Boden weg. Sie bemerkten es nie, wenn ein Kobold über die Erde huschte – es sei denn, sie saßen auch mal auf dem Boden. Aber die meisten Erwachsenen hatten es eilig und wollten immer schnell irgendwohin und deshalb war der kleine Kobold bisher nur von Kindern gesichtet worden.

Eines Tages ging der kleine Max durch den Wald, um Holzzweige zu suchen. Er wollte für den Bach neben seinem Haus ein kleines Floß bauen. Die kleinen Zweige zu finden, die er dafür brauchte, war leider überhaupt nicht einfach, vor allem nicht im Winter. Max bückte sich, um akribisch den Boden abzusuchen, und schob so manchen Schneehaufen mit den Händen zur Seite. Dabei entdeckte er den kleinen Kobold – schlafend! Seelenruhig lag das Kerlchen einfach da und schlummerte tief und fest. Max rieb sich verwundert die Augen. Aber es half nichts, es war kein Traum. Er konnte sogar ein leises Schnarchen hören. Das war ja ein Ding! Ein schnarchender Kobold unter einem Baum im Wald, und das noch im Winter. Ob der gar nicht fror? Das würde ihm ja niemand glauben. Vielleicht packe ich ihn einfach in meine Tasche und nehme ihn mit nach Hause, überlegte Max.

Da schlug der Kobold unverhofft die Augen auf. „Ich weiß, was du denkst“, schimpfte er sofort los. „Aber du kannst mich nicht einfach mitnehmen, ich bin niemandes Eigentum.“ Max war verwundert. „Woher weißt du denn, was ich gedacht habe?“, fragte er den Kobold. Der stand auf und versteckte sich flink hinter dem Baum. „Das weiß ich eben“, grummelte er gereizt. „Bitte geh nicht“, bat Max. „Warum sollte ich bleiben?“ Vorsichtig lugte der Kobold hinter dem Baum hervor. Max überlegte kurz. „Könntest du mir nicht helfen, kleine Zweige zu finden? Du kannst das bestimmt besser als ich. Ich möchte ein kleines Floß bauen, um es im Bach treiben zu lassen.“ – „Ein Floß …“ Der Kobold grübelte. „Und darf ich dann auch mal damit fahren?“ Max strahlte. „Ja, klar! Das Floß wäre gerade groß genug für dich.“ – „Und dann darf ich damit auch mal diesen Bach da hinten entlangfahren? Das war schon immer mein Traum!“ Jetzt war der Kobold ganz begeistert. „Natürlich.“ Max nickte freudig. „Na gut“, erwiderte der kleine Kerl. Noch etwas zögerlich kam er hinter dem Baum hervor, doch dann gingen sie zusammen auf Hozzweigsuche.

Der Kobold hatte wirklich ein gutes Händchen dafür und so dauerte es nicht lange, bis sie genug Zweige beisammen hatten. „Kommst du mit zu mir nach Hause, um mir beim Bauen zuzuschauen?“, fragte Max. „Das geht nicht“, erwiderte der Kobold. „Ich war noch nie in einem Haus. Wenn mich da jemand entdeckt! Nachher will mich vielleicht noch jemand schnappen, so wie du das vorhattest.“ – „Ich passe auf“, versprach Max. „Ehrenwort. Bitte vertrau mir.“ Der Kobold überlegte kurz und sagte dann: „Na gut, probieren wir es. Aber du musst mich gut verstecken.“ Max strahlte. „Klar.“ Er ließ den Kobold erst auf seine Hand und dann in seine Jackentasche hüpfen.

Als sie zu Hause ankamen, hatte der Kobold seine Ängste vergessen und erkundete sogleich Max’ Kinderzimmer. Fröhlich hüpfte er auf dem Bett herum. Da ging plötzlich die Tür auf und Max’ Onkel stand im Zimmer. Der Kobold erschrak und plumpste vor Schreck vom Bett. Das war nun allerdings nicht zu übersehen, auch nicht für einen Erwachsenen. Der Onkel stutzte. „Was war denn das?“ Max tat, als wüsste er nicht, wovon er sprach, doch der Onkel sah nun genauer nach. „Da war doch was?“ Er suchte das Bett ab. Zuerst schüttelte er die Decke aus, dann suchte er unter dem Kopfkissen. Nichts. Als Nächstes bückte er sich, um unter das Bett zu schauen, und oje, dort blickte ihn doch tatsächlich der Kobold mit großen Augen an. Der Onkel erschrak und stieß sich vor Schreck den Kopf an der Bettkante. „Autsch.“ Der Kobold nutzte den Moment, um an ihm vorbeizuhuschen und das Weite zu suchen.

Max’ Onkel schaute noch einmal vorsichtig unter das Bett, aber dort war kein Kobold mehr zu sehen. „Ich glaube, ich habe schon Halluzinationen“, murmelte er. Max lächelte. Er war froh, dass der Kleine hatte fliehen können. „Was machst du denn da?“, fragte der Onkel. „Ich baue ein Floß für den Bach“, erklärte Max. „Aha, na, dann viel Spaß.“ Der Onkel drehte sich um und verließ das Zimmer. Er schien etwas durcheinander zu sein. Max schaute durchs Fenster und sah, dass sich der Kobold draußen im Blumenkasten versteckt hatte. Als sein Onkel weg war, ließ Max den Kobold wieder herein und begann endlich zu bauen. Das Floß war schnell fertig und der Kobold freute sich so sehr darüber, dass er sich ein paarmal unbeschwert im Kreis drehte. „Na komm, hüpf in meine Tasche, dann probieren wir es aus“, schlug Max vor.

Am Bach setzte er den Kobold auf das Floß. Vorsichtig ließ er es ins Wasser gleiten. Es schwamm ganz wunderbar und die beiden verbrachten die folgenden Stunden damit, das Floß im Wasser schippern zu lassen. Max lief neben dem Floß her, wärend der Kobold fröhlich jauchzend darauf stand und sein Glück nicht fassen konnte. Dort, wo der Bach etwas enger wurde, angelte Max das Floß mit einem Ast heraus und setzte es weiter oben wieder ins Wasser. Wenn der Kobold mit seinem Floß hängen blieb, war Max zur Stelle und befreite es. So ging das den ganzen Nachmittag, bis beide erschöpft, aber glücklich im Schnee saßen. „Freunde für immer?“, fragte Max. „Freunde für immer“, antwortete der Kobold und beide waren froh, dass sie sich kennengelernt hatten, auch wenn es auf etwas ungewöhnliche Weise geschehen war.


Veröffentlicht am: 
7/2/2018
Autor:
Antje Wäschle - Foto: Maik Baumann